Heftig diskutiert und oftmals missverstanden: Das Thema Pflanzenschutz lässt bei so manchen die Wogen höher schlagen. Doch was steckt hinter modernem Pflanzenschutz, wie er von ausgebildeten Bäuerinnen und Bauern betrieben wird? Landwirtschaftskammer NÖ-Präsident Johannes Schmuckenschlager hat sich gemeinsam mit der Leiterin des Instituts Pflanzenschutz der Boku Siegrid Steinkellner mit diesem kontrovers-diskutierten Thema befasst, das Erklärung und Aufklärung braucht.
Wie schön wäre es, wenn man Pflanzen anbauen könnte und erst nach ein paar Monaten für die Ernte wieder vorbeikommen könnte. Doch Pflanzen brauchen mehr Zuwendung. Schädlinge und Krankheiten setzen ihnen zu und fordern von Bäuerinnen und Bauern ein gut durchdachtes Maßnahmenpaket. Es geht längst nicht mehr nur um chemische Mittel, sondern um ein cleveres Zusammenspiel verschiedener Methoden. Von Nützlingen über smarte Technik bis hin zu innovativen RNA-Molekülen – die Landwirtschaft entwickelt ständig neue Wege, um Pflanzen zu schützen und Ernten zu sichern.
Innovative Techniken für den Schutz unserer Pflanzen
RNA-Moleküle: RNA-Moleküle bringt man auf Pflanzen auf, damit sie vom Schädling aufgenommen werden. Das führt zu Stoffwechselveränderungen beim Schädling, der sich nicht mehr weiterentwickeln kann. Die RNA-Moleküle fungieren somit als eine Art Impfstoff und könnten in Zukunft einen alternativen Ansatz zur Schädlingsbekämpfung darstellen.
Digitale Werkzeuge: Das Smartphone wird eines der Zukunfts-Werkzeuge im Pflanzenschutz sein. In kürzester Zeit können mobile Analysen gemacht werden, um festzustellen, um welchen Schadorganismus es sich beispielsweise handelt. Mit der Diagnose und Überwachung mittels Smartphone oder Drohnen kann eine präzisere Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten ermöglicht werden.
Künstliche Intelligenz und Pflanzenschutz:Künstliche Intelligenz wird in der Steuerung von Präzisionslandwirtschaftsgeräten, wie etwa in kamerabasierten Hackgeräten oder Feldspritzen, eingesetzt. Damit kann Unkraut gezielt bekämpft und der Einsatz von Herbiziden reduziert werden.
Klimawandel erhöht Schädlings- und Krankheitsdruck
Neue Wege sind mehr denn je gefragt, wenn es um den wirksamen Schutz der Pflanzen geht. Denn der Klimawandel erhöht den Schädlingsdruck. Er verändert das gesamte Ökosystem und das nicht ohne Folgen. Steigende Temperaturen und neue Feuchtigkeitsverhältnisse bringen neue Pflanzenkrankheiten und Schädlinge mit sich. Zusätzlich treten vorhandene Krankheiten wie Brand-Pilze, Fusarien oder wärmeliebende Aspergillus-Pilze häufiger als gewohnt auf.
Doch nicht nur Pilze erfreuen sich an den neuen Bedingungen. Auch tierische Schädlinge werden durch die Hitze begünstigt. Während die Pflanze durch die Hitze geschwächt wird, nutzen die Schädlinge ihre Chance. Die großen "Gewinner" sind somit leider nicht die Ackerpflanzen. Vielmehr profitieren Kartoffelkäfer, Maiswurzelbohrer oder auch Blattläuse von der neuen Situation. Alleine die Blattläuse werden aufgrund der wärmeren Temperaturen etwa fünf bis sieben Entwicklungszyklen mehr im Jahr schaffen.
Mit welchen Technologien sagt man Krankheiten und Schädlingen den Kampf an?
Für Landwirtschaftskammer NÖ-Präsident Johannes Schmuckenschlager steht fest: "Die langfristige Veränderung des Klimas kann nicht mit althergebrachten Methoden begegnet werden. Die Landwirtschaft braucht mehr Freiraum. Eine weitere Einschränkung würde unsere Versorgungssicherheit gefährden und uns noch abhängiger von Importen machen." Notfallzulassungen für schwierige Jahrgänge oder eine pauschale 50%ige Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes, wie es von der Europäischen Union vorgeschlagen wurde, sind keine praxistauglichen Lösungen. Vielmehr braucht es durchgängig stabile Rahmenbedingungen für Landwirtinnen und Landwirte, aber auch für die Pflanzenschutzmittelfirmen und Verarbeiter. Nur so kann man die Produktion und die Verarbeitung in der Region behalten. Grundsätzlich liegt die Zukunft des Pflanzenschutzes in der Integration verschiedener Methoden und der Nutzung innovativer Technologien. Präventive, mechanische, physikalische und biotechnische Maßnahmen sind genauso wichtig wie der Einsatz chemischer Mittel. Die Digitalisierung bietet enorme Chancen, den Pflanzenschutz effizienter und umweltfreundlicher zu gestalten.
Warum kann fehlender Pflanzenschutz zur Gesundheitsfalle werden?
Bei der Grünen Bohne, wo wir heute fast eine 100%-prozentige Versorgung in Österreich haben, bedroht das hochgiftige Unkraut Stechapfel die Ernte. Die giftigen Samen des Stechapfels haben nämlich zur Erntezeit die gleiche Farbe und Größe der Erbsen. Deshalb können sie nur schwer aus dem Endprodukt rausgereinigt werden. Wenn die Landwirtschaft nicht ausreichend Mittel zur Bekämpfung von Unkräutern hat, kann eine qualitative, sichere Produktion nur schwer gewährleistet werden.
Bei Stechapfel vs. Erbse stellen sie sich deshalb unweigerlich die Frage: „Kann ich ein gesundes Produkt produzieren, das auch lagerfähig ist?“ Nur wenn sie diese Frage mit „Ja!“ beantworten können, können Verarbeiterinnen und Verarbeiter in der Region gehalten werden.
Hürden beseitigen und damit Versorgung sichern
Es gibt kaum eine Branche die standortgebundener ist als die Landwirtschaft. Das braucht eine gewisse Nachhaltigkeit, sonst hätten wir heute keine Produktion mehr in Österreich. Auch die Wirtschaftlichkeit der Betriebe ist für eine nachhaltige Produktion von gesunden Lebensmitteln wichtig. Stück für Stück fallen der Landwirtschaft jedoch die Zulassungen für Pflanzenschutzmittel weg – was ein gutes Wirtschaften erschwert.
Welche Folgen haben zusätzliche Hürden?
Landwirtinnen und Landwirte kämpfen nicht nur mit den langfristigen Folgen des Klimawandels und zunehmendem Schädlingsbefall, sondern auch mit gesellschaftlichem und politischem Druck. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wurde zu einem heißen Thema und die Bäuerinnen und Bauern stehen mitten im Kreuzfeuer der Debatte. Dabei liegt es zu allererst unseren Bäuerinnen und Bauern am Herzen, gesunde Lebensmittel zu produzieren, hinter denen sie mit ganzem Herzen stehen. Der Klimawandel erschwert die Produktion ohnehin schon genug, wenn nun aber zusätzlich die Regeln für Pflanzenschutz immer strenger werden, könnte die Produktion regionaler Lebensmittel in Österreich gefährdet sein. Kurz: Unsere Versorgungssicherheit ist nicht mehr sicher!
Erste Folgen der Pflanzenschutzmittelreduktion werden beim österreichischen Rapsanbau deutlich. Die Branche leidet unter dem Wegfall der Neonicotinoide als Beizmittel. In zehn Jahren verringerte sich der Anbau von Rapskulturen um ca. 17.700 Hektar, das sind 58 Prozent der ursprünglichen Fläche.
Spießrutenlauf, Expertenwissen, Auflagen und Co.: Pflanzenschutzmittelzulassung bietet Schutz
Ein Pflanzenschutzmittel ist ein Produkt, das einen Kulturpflanzenbestand vor Krankheiten, Schädlingen oder auch Unkräutern schützen soll. Damit es das tut, braucht es einen Wirkmechanismus – sonst kann es nicht effektiv sein. Der Wirkstoff kann dazu führen, dass es irgendwo Nebeneffekte gibt, die man sich nicht wünscht. Aufgrund möglicher negativer Effekte von Pflanzenschutzmitteln auf Mensch, Tier und Umwelt, gibt es eine sehr komplexe und strenge Pflanzenschutzmittelzulassung, die über die EU geregelt ist. Viele Expertinnen und Experten sind an dem Prozess beteiligt und entscheiden über den Ausgang des Verfahrens.
Was gehört bei einem Zulassungsverfahren dazu?
Untersuchung der chemischen und physikalischen Eigenschaften eines Wirkstoffs
Bewertung der Umweltverträglichkeit und Abbaugeschwindigkeit des Wirkstoffes
Prüfung der Ökotoxizität und Humantoxizität des Wirkstoffes
Bestätigung der Wirksamkeit des Wirkstoffes
Bewertung aller Inhaltsstoffe des Pflanzenschutzmittels (Emulsionsverbindungen, Füllstoffe etc.)
Zulassung auf zonaler und nationaler Ebene
Genaue Kontrolle auch nach der Zulassung
Ist das Produkt zugelassen und im Handel, wird der Einsatz dennoch mit Argusaugen weiter beobachtet. Rückstandsuntersuchungen, genaue Rückstandswerte und Regelungen in Hinblick auf erlaubte Rückstandswerte sollen hier die Gesundheit aller schützen. Auch hier steht ein komplexes Verfahren dahinter, bei dem viele Sicherheitsfaktoren berechnet und berücksichtigt werden. Das erklärte Ziel: Lebensmittel so sicher wie nur möglich sein.
Kommunikation als Schlüssel: Fundierte Information statt Vorurteile und Panikmache
Wir müssen mehr miteinander reden – Landwirt:innen, Wissenschaftler:innen, Politiker:innen und die Gesellschaft. Nur so verstehen wir besser, wie moderner Pflanzenschutz funktioniert, welche Vorteile er bietet und welche Risiken er birgt. Sachlich fundierte Informationen müssen immer die Basis und den Mittelpunkt der Kommunikation bilden.
Die Botschaft der Landwirtschaft ist klar: Ohne die richtigen Werkzeuge, wie Pflanzenschutzmittel, können Bäuerinnen und Bauern keine sicheren und gesunden Lebensmittel produzieren. Diese Mittel sind entscheidend, um unsere Ernten zu schützen und werden streng auf Sicherheit geprüft. Für die Zukunft brauchen wir mehr Freiheit und eine größere Auswahl an sicheren Mitteln, um unsere Lebensmittelversorgung zu sichern.
In Österreich haben wir das Privileg, gut versorgt zu sein – dank unserer Bäuerinnen und Bauern. Damit das auch in Zukunft so bleibt, brauchen wir einen ehrlichen und offenen Austausch mit allen Beteiligten.