Melktechnik als Betriebsentscheidung
Über 80 Prozent der Einnahmen aus dem Zweig Milchproduktion stammen aus dem Milchverkauf – das zeigt die Bundesauswertung des Arbeitskreises Milchproduktion deutlich. Deshalb ist und bleibt die Melkarbeit zentral für den Betriebserfolg. Dieser alltägliche Arbeitsablauf unterscheidet sich jedoch von Betrieb zu Betrieb, im Großen wie im Kleinen.
Welche Melktechnik hat die Nase vorn?
Verfolgt man Beiträge in Fachmedien, so hat es den Anschein, dass die vorherrschende Melktechnik der Zukunft nur das automatische Melksystem sein kann. Ein genauer Blick in die Gegenwart zeigt jedoch, dass klassische Melktechnik noch länger die Nase vorne haben wird. Eine Auswertung des LKV Niederösterreich ergab, dass derzeit gerade 142 Betriebe, das sind vier Prozent der Kontrollbetriebe, mit Roboter melken.
Mit 61 Prozent arbeiten die meisten Milchviehhalter mit Melkständen in verschiedenen Ausführungen, von Durchtreiber-, Side-by-Side- bis zu Tandem- oder Fischgrätenmelkstand. 35 Prozent der Betriebe melken auch heute noch mit Rohr- oder Eimermelkanlage. Ein einziger Betrieb hat sich entschieden, die Herde in einem Melkkarussell zu melken.
Investition bestimmt Melkarbeit der nächsten 20 Jahre
Die Investition in eine Melkanlage/ein Melksystem ist oft eine Entscheidung, die den Alltag und die Arbeit einer Betriebsgeneration für die nächsten 20 Jahre oder noch länger prägt. Es scheint aus dem momentanen Blickwinkel sehr wahrscheinlich, dass der Melkroboter weiter seinen Siegeszug in der heimischen Milchwirtschaft fortsetzt und die körperlich sehr fordernden Melksysteme, wie Rohrmelkanlage und Standeimer, weiter zurück gehen werden. Doch die händische Melkarbeit wird nicht von heute auf morgen von der vollautomatischen Variante abgelöst werden, denn jedes Melksystem hat seine eigenen technischen und baulichen sowie finanziellen Vorzüge und soll mit den Ansprüchen des Betriebes und den mit der Melkarbeit und dem Herdenmanagement betrauten Personen abgestimmt werden.
Direktleistung pro Kuh
Bundesauswertung Arbeitskreise Milchproduktion 2018
Melkanlagen in Niederösterreich 2019
Quelle: LKV NÖ
Rohrmelkanlage und Standeimer in der Praxis
So geben Landwirte, die noch mit Rohrmelkanlage oder Standeimer melken, an, dass bei diesem System während der Melkarbeit eine gute Tierkontrolle möglich ist. Diese Systeme bieten auch den Vorteil, dass die Tiere zum Melken meistens nicht extra auf- oder umgetrieben werden müssen, da sie meist einige Zeit vor Melkbeginn vom Auslauf oder der Weide in den Stall und somit auf den eigenen Standplatz gelenkt werden. So herrscht beim Melken eine ruhige Atmosphäre.
Dem gegenüber stehen die körperliche Anstrengung und die größere Verletzungsgefahr, wenn man sich mitten unter den Tieren bewegt und schwere Melkausrüstung transportiert. Ein Melker kann bei Rohrmelkanlagen in der Regel zwei bis vier Melkzeuge alleine bedienen, abhängig von der Melkgeschwindigkeit der Einzeltiere und der Anrüstroutine.
Melkstand verringert körperliche Anstrengung
Melkstände in den verschiedenen Ausführungen sind meist mit einer Melkergrube ausgestattet. Dadurch kann das Melkpersonal aufrecht stehen und in Augenhöhe arbeiten. Ebenso fällt das Tragen des Melkgeschirrs und der Ausrüstung weg. Der Tierdurchsatz pro Stunde unterscheidet sich je nach Ausführung und Melkzeugausstattung erheblich.
Durchtreibemelkstand benötigt wenig Platz
Durchtreibemelkstände benötigen wenig Platz, weil sie sehr schmal ausgeführt werden können. Der Nachteil ist, dass sie nur einen eher geringen Tierdurchsatz von etwa fünf Kühen pro Stunde und Melkplatz haben. Zusätzlich ergeben sich durch die Bauweise sehr lange Wege für Kuh und Melker, was die Melkzeiten verlängert und die körperliche Anstrengung erhöht. Darum eignen sie sich auch eher für kleinere Herden.
Tandemmelkstand mit höchstem Tierdurchsatz
Ein Tandemmelkstand benötigt mehr Platz als andere Melkstände. Dafür können, im Gegensatz zu Gruppenmelkständen, Tiere den Melkplatz individuell aufsuchen und verlassen. Fertig gemolkene Tiere müssen nicht auf das langsamste Tier der Gruppe warten. Sie können den Melkstand nach dem Ausmelken verlassen und Platz für die nächste Kuh machen. Dadurch hat der Tandemmelkstand den höchsten Tierdurchsatz von bis zu acht Kühen pro Stunde und Melkplatz.
Jedoch ergeben sich aus dem hohen Platzbedarf sehr lange Wege, für Kuh und Melkpersonal. Deshalb eignet sich die Tandembauweise nicht gut für sehr große Herden. Jeder weitere Melkplatz erhöht die Baukosten und die Wegzeiten.
Fischgräten & Side-by-Side verkürzen Melkzeit
Fischgräten- und Side-by-Side-Melksysteme teilen das übliche Manko der Gruppenmelkstände – es kann immer nur die ganze Gruppe ausgelassen werden und man muss deshalb immer auf die langsamste Kuh der Gruppe warten. Aber durch kluge Bauweise schafft man es, die Abstände zwischen den Kuheutern und damit die Wegzeiten für den Melker zu verringern.
Die Kühe stehen im 30° bis 60°-Winkel (Fischgräten) beziehungsweise 90°-Winkel zur Melkgrube. Das Melkzeug wird von der Seite oder von hinten angesteckt. Sowohl bei Side-by-Side- als auch bei Fischgrätenmelkständen kann ein Frontabgang den Austrieb und damit den Gruppenwechsel beschleunigen.
Pro Melkplatz und Stunde werden bei diesem Melksystem auch nur maximal fünf Kühe je Stunde gemolken, jedoch erlaubt die Bauweise mehr Melkplätze „pro Laufmeter“, die ein Melker bedient. Verschiedene Stufen der Automatisierung erhöhen den Arbeitskomfort, wie zum Beispiel Anrüstautomatik, Abschalt-, Abnahme- und Nachmelkautomatik sowie automatische Zitzendesinfektion. Ein Melker muss so weniger Zeit pro Tier aufwenden und er kann mehr Tiere gleichzeitig betreuen. Eine große Gefahr beim klassischen Melken bleibt eine gewisse Unachtsamkeit bei den Melkroutinen, wenn der Melker abgelenkt ist, oder zu viele Tiere gleichzeitig betreuen muss. Ungenaues Vorreinigen und Anrüsten oder Blindmelken können unter Zeitdruck häufiger vorkommen.
Melkroboter ersetzt den Melker
Der Melkroboter beziehungsweise das automatische Melksystem (AMS), hat den Vorteil, ganz ohne Melker auszukommen. „Human Error“, also menschliche Fehler, kommen dabei so gut wie gar nicht in der täglichen Routinearbeit vor. Ein Roboter wird weder müde noch ungeduldig. Auch der Tierdurchsatz pro Stunde und Melkbox würde für einen Melkroboter sprechen.
Thomas Bonsels vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen geht in einem Fachartikel aus dem Jahr 2014 von einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer einer Kuh in der Melkbox von rund sieben Minuten aus, vom Betreten bis zum Verlassen. Grob gerechnet, würde ein Roboter bei reibungslosem Ablauf zirka acht Kühe pro Stunde schaffen.
Nicht eingerechnet sind Reinigungszeiten, zumindest zweimal täglich für 30 Minuten, oder Wartungszeiten und die Tatsache, dass die Kühe den Roboter öfter als zweimal pro Tag aufsuchen. Auch wenn der Roboter alleine melkt, muss jemand am Betrieb abrufbereit sein, um bei Störungen jederzeit handeln zu können.
Frei werdende Arbeitszeit für Beobachtung und Kontrolle
Der Hauptvorteil des automatischen Melksystems bleibt aber die frei werdende Arbeitszeit durch das Wegfallen der manuellen Melkarbeit. Solche Systeme funktionieren aber nur dann sinnvoll, wenn zumindest ein Teil dieser Arbeitszeit direkt in die Tierbeobachtung und Datenanalyse fließt. Der tägliche Mensch-Tier-Kontakt beschränkt sich dann nicht mehr auf die Melkarbeit, sondern weitet sich auf Herdenbeobachtung und gezieltes Kontrollieren der Einzeltiere aus.
Kurz gefasst
Dass die gesamte Herde zweimal täglich an den Augen des Melkers vorbeispaziert, diesen Vorteil bieten die klassischen Melkstände. Aber eine effektive Tierbeobachtung während der Melkzeit ist oft nur schwer möglich, da man so effizient wie möglich melken möchte. Ein paar Stallrundgänge täglich und Einzeltierkontrollen können nicht durch die alleinige Beobachtung im Melkstand abgelöst werden. Rohr- und Eimermelkanlagen bieten den engsten Tierkontakt beim Melken. Deshalb kann ein größerer Teil der Tierbeobachtung auf die täglichen Melkzeiten entfallen.
Neben den arbeitswirtschaftlichen Unterschieden zwischen den Systemen muss man immer auch die betriebswirtschaftlichen Aspekte jedes Systems mitdenken. Die Bau- und Anschaffungskosten sind genauso wichtig, wie die laufenden Betriebs- und Wartungskosten. Letztlich geht es auch um die Flexibilität der Anlage. Eine AMS-Anlage kann rund 60 Kühe gut melken. Werden weniger gemolken, leidet die Rentabilität. Sind es auf Dauer mehr als 60 Kühe pro Roboter, kann dieser an seine Grenzen stoßen. Wachstum ist nur in großen Sprüngen möglich. Klassische Melkanlagen sind hier viel flexibler. Die ideale Melkanlage ist so betriebsindividuell, wie die perfekte Kuh. Je nach Arbeitskraftausstattung, Tierbesatz, Leistung und Vorlieben werden sich die Entscheidungen unterscheiden.
Neben den arbeitswirtschaftlichen Unterschieden zwischen den Systemen muss man immer auch die betriebswirtschaftlichen Aspekte jedes Systems mitdenken. Die Bau- und Anschaffungskosten sind genauso wichtig, wie die laufenden Betriebs- und Wartungskosten. Letztlich geht es auch um die Flexibilität der Anlage. Eine AMS-Anlage kann rund 60 Kühe gut melken. Werden weniger gemolken, leidet die Rentabilität. Sind es auf Dauer mehr als 60 Kühe pro Roboter, kann dieser an seine Grenzen stoßen. Wachstum ist nur in großen Sprüngen möglich. Klassische Melkanlagen sind hier viel flexibler. Die ideale Melkanlage ist so betriebsindividuell, wie die perfekte Kuh. Je nach Arbeitskraftausstattung, Tierbesatz, Leistung und Vorlieben werden sich die Entscheidungen unterscheiden.